Dienstag, 6. März 2012

Karolingische Buchmalerei

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Karl der Große mit den Päpsten Gelasius und Gregor I. im Sakramentar Karls des Kahlen (Hofschule Karls des Kahlen, um 870).
Als karolingische Buchmalerei wird die Buchmalerei vom Ende des 8. bis zum späten 9. Jahrhundert bezeichnet, die im Fränkischen Reich entstand. Während die vorherige merowingische Buchmalerei rein klösterlich geprägt war, ging die karolingische von den Höfen der fränkischen Könige sowie den Residenzen bedeutender Bischöfe aus.
Ausgangspunkt war die sogenannte Hofschule Karls des Großen an der Aachener Königspfalz, der die Manuskripte der sogenannten Ada-Gruppe zugeordnet werden. Gleichzeitig und wahrscheinlich am selben Ort existierte die sogenannte Palastschule, deren Künstler byzantinisch geprägt waren. Die Codices dieser Schule werden nach ihrer Leithandschrift auch Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars genannt. Bei allen stilistischen Unterschieden ist beiden Malschulen die direkte Auseinandersetzung mit der Formensprache der Antike sowie das Bemühen um eine vorher nicht dagewesene Klarheit des Seitenbildes gemeinsam. Nach dem Tod Karls verlagerte sich das Zentrum der Buchmalerei nach Reims, Tours und Metz. Dominierte zu Zeiten Karls die Hofschule, so wurden in den späteren Zentren der Buchkunst stärker die Werke der Palastschule rezipiert.
Die Blütezeit der karolingischen Buchmalerei endete im späten 9. Jahrhundert. In spätkarolingischer Zeit entwickelte sich eine franko-sächsische Schule, die wieder verstärkt Formen der ältereninsularen Buchmalerei aufnahm, bevor mit der ottonischen Buchmalerei ab Ende des 10. Jahrhunderts eine neue Epoche einsetzte.

 

Grundlagen der karolingischen Buchmalerei

Zeitlicher und geografischer Rahmen
Die Zuweisung der karolingischen Kunst zu einer Epoche ist uneinheitlich: Teilweise wird sie als eigene Kunstepoche betrachtet, häufiger jedoch mit anderen Stilen des 5. bis 11. Jahrhunderts als frühmittelalterliche Kunst oder mit der ottonischen Kunst als Vorromanik zusammengefasst, mitunter auch als Frühromanik bereits in die romanische Epoche einbezogen.[1] Die karolingische Kunst war stark an das jeweilige Herrscherhaus gebunden und auf den Herrschaftsbereich der Karolinger, also auf das Fränkische Reich, begrenzt. Kunstregionen, die außerhalb dieses Raumes lagen, werden nicht zur karolingischen Kunst gezählt. Einen Sonderfall stellt das Langobardenreich dar, das Karl der Große 773/774 erobern konnte, das aber eigene kulturelle Traditionen fortführte, die stark auf die karolingische Kunst einwirkten. Umgekehrt wirkten die Impulse der sogenannten Karolingischen Renaissance auch in Italien, besonders in Rom.
Die Wahl Pippins des Jüngeren 751 zum König der Franken markiert den Beginn der karolingischen Königsdynastie, eine eigenständige karolingische Kunst setzte jedoch erst unter Karl dem Großen ein, der seit 771 Alleinherrscher des Fränkischen Reiches war und 800 zum Kaiser gekrönt wurde. Die erste, zwischen 781 und 783 von Karl in Auftrag gegebene Prachthandschrift war das Godescalc-Evangelistar. Nach dem Tod Ludwigs des Frommen, des Nachfolgers Karls, wurde das Reich 843 im Vertrag von Verdun in die drei Teile West- und Ostfrankenreich sowie Lotharingien aufgeteilt. Lotharingien erfuhr in den folgenden Jahrzehnten mehrere weitere Teilungen, bei denen einige Gebiete an das West- und Ostfrankenreich fielen, andere in Lothringen, Burgund und Italien zu selbständigen Königreichen und Herzogtümern wurden.
Mit dem Tod Ludwigs des Kindes erlosch im Jahr 911 die Linie der ostfränkischen Karolinger. Zum neuen König wurde Konrad der Jüngere aus dem Geschlecht der Konradiner gewählt. Nach dessen Tod wählten die Großen Frankens und Sachsens Heinrich I. im Jahr 919 zum ostfränkischen König. Mit dem Übergang der Königswürde an die sächsischen Liudolfinger, die später als Ottonen bezeichnet wurden, verlagerte sich auch der Schwerpunkt der Kunstproduktion nach Ostfranken, wo die ottonische Kunst einen ausgeprägten eigenen Charakter entwickelte. Im Westfrankenreich ging die Königswürde nach dem Tod Ludwigs des Faulen 987 an Hugo Capet und damit an die Dynastie der Kapetinger über. Die Blüte der karolingischen Kunst endete jedoch im gesamten fränkischen Raum bereits Ende des 9. Jahrhunderts, die späteren spärlichen und weniger bedeutenden Werke griffen zumeist wieder auf ältere Traditionen zurück.
Künstler und Auftraggeber

Rabanus Maurus, unterstützt von Alkuin, übergibt sein Werk an den Hl. Martin von Tours, von späterer Hand irrtümlich als Ebf. Otgar von Mainz bezeichnet (Fulda, um 840).[2]
Waren in merowingischer Zeit ausschließlich Klöster für die Buchproduktion verantwortlich, so ging die karolingische Renaissance vom Hof Karls des Großen aus. Das Godescalc-Evangelistar, der Dagulf-Psalter sowie eine schmucklose Handschrift[3] bezeugen Karl in Widmungsgedichten und Kolophonen als Auftraggeber. Auch unter den Nachfolgern Karls des Großen waren kurzlebige Werkstätten an die Höfe der karolingischen Kaiser und Könige oder an die bedeutender, eng mit dem Königshof verbundener Bischöfe gebunden. Lediglich das Kloster von Tours blieb über Jahrzehnte bis zu seiner Zerstörung 853 produktiv.
Die meisten liturgischen Bücher waren für den königlichen Hof bestimmt. Einige der kostbarsten Codices dienten als Ehrengeschenke, so war der Dagulf-Psalter als Geschenk Karls an PapstHadrian I. geplant, wenn es auch wegen des Todes Hadrians nicht mehr zu einer Übergabe kam. Eine dritte Gruppe von Handschriften wurde für die wichtigsten Klöster des Reiches hergestellt, um die vom Kaiserhof ausgehenden religiösen und kulturellen Impulse in das Reich zu tragen. So war das Evangeliar in Abbeville für Karls Schwiegersohn Angilbert, den Laienabt von Saint-Riquier, bestimmt, und 827 stiftete Ludwig der Fromme ein Evangeliar aus der Hofschule Karls des Großen der Kirche Saint-Médard in Soissons. Umgekehrt schenkte das touronische Kloster unter Abt Vivian 846 Karl dem Kahlen die Vivian-Bibel, der sie vermutlich 869/870 der Kathedrale von Metz stiftete.
Wenige frühmittelalterliche Buchmaler sind namentlich fassbar. In einer vielleicht aus Aachen stammenden illustrierten Terenz-Handschrift versteckte einer der drei Maler, Adelricus, seinen Namen im Giebelornament einer Miniatur.[4] Nach eigenen Aussagen malte der gelehrte Fuldaer Mönch Brun Candidus, der einige Zeit an der Aachener Hofschule unter Einhard verbracht hatte, die Westapsis der 819 geweihten Ratgar-Basilika über dem Bonifatiussarkophag im Kloster Fulda aus.[5] Damit könnte ihm eine wichtige Rolle in der Fuldaer Malschule der ersten hälfte des 9. Jahrhunderts zugekommen sein. Hypothetisch, aber nicht unwahrscheinlich ist deshalb, dass er auch als Buchmaler tätig war und die von ihm selbst verfasste Vita Abt Eigils illustriert habe.[6]
Häufiger als die Maler nannte sich der Schreiber einer Handschrift in einem Widmungsgedicht oder im Kolophon. Das Godescalc-Evangelistar und der Dagulf-Psalter erhielten ihre Namen nach den Schreibern der Manuskripte. Beide bezeichnen sich als Capellani, was darauf hindeutet, dass das Skriptorium der Hofschule Karls des Großen mit der Kanzlei verbunden war.[7] Im Codex aureus von St. Emmeram nennen sich die Mönche Liuthard und Beringer als Schreiber.[8] Je kleiner ein Skriptorium war und je geringer der Anspruch der Buchmalerei, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Schreiber auch die Illumination ausführte.[9]
Das Buch in karolingischer Zeit und seine Überlieferung

Godescalc-Evangelistar(wahrscheinlich Aachen, zwischen 781 und 783), Lebensbrunnen und Initiale (3v/4r).
Das in einem arbeitsintensiven Prozess mit teuren Materialien hergestellte Buch war ein ausgesprochen kostbarer Luxusgegenstand. Alle karolingischen Manuskripte sind auf Pergamentgeschrieben, das billigere Papier erreichte Europa erst im Lauf des 13. Jahrhunderts. Besonders repräsentative Prachthandschriften, so das Godescalc-Evangelistar, das Evangeliar aus Saint Médard in Soissons, das Krönungsevangeliar, das Lorscher Evangeliar oder die Bibel von St. Paul, wurden mit Gold- und Silbertinte auf purpurgefärbtem Pergament geschrieben, ihre Buchdeckel mit Elfenbeintafeln geschmückt, die von edelsteingeschmückten Goldschmiedearbeiten gefasst waren. Bei den Miniaturen dominierte die Deckfarbenmalerei, seltener war die – meist kolorierte – Federzeichnung.

Der Dagulf-Psalter (Aachen, vor 795) enthält keinen Bildschmuck, wurde aber mit Gold- und Silbertinte auf purpur gefärbtem Pergament geschrieben.
Rund 8000 Handschriften aus dem 8. und 9. Jahrhundert sind überliefert.[10] Wie groß die Bücherverluste sind, die auf Normanneneinfälle, Kriege,Bilderstürme, Brände und andere gewaltsame Ursachen, auf Geringschätzung oder Wiederverwendung des Pergaments als Rohstoff zurückzuführen sind, ist kaum abzuschätzen. Erhaltene Bücherverzeichnisse geben über den Umfang einiger der größten Bibliotheken Auskunft. So stieg der Buchbestand des Klosters St. Gallen in karolingischer Zeit von 284 auf 428,[11] das Kloster Lorsch besaß im 9. Jahrhundert 590[12] und dieKlosterbibliothek in Murbach 335[11] Manuskripte. Aus Testamenten lässt sich eine Vorstellung über den Umfang privater Bibliotheken gewinnen. Die 200 Codices, die Angilbert seinem Kloster Saint-Riquier vermachte[13] und unter denen sich auch das Evangeliar von Abbeville befand, dürften eine der größten Bibliotheken gewesen sein. Eccard von Mâcon vermachte seinen Erben rund zwanzig Bücher.[13] Wie groß die Bibliothek Karls des Großen war, die nach seinem Tod gemäß seinen testamentarischen Verfügungen verkauft wurde, ist nicht bekannt. In der Aachener Bibliothek waren alle wesentlichen greifbaren Werke und zahlreiche Bilderhandschriften zusammengetragen, darunter viele römische, griechische und byzantinische Bücher.[14]
Die meisten Handschriften waren gar nicht, ein kleiner Teil wenig anspruchsvoll illuminiert. In die kunsthistorische Literatur finden in der Regel nur die wenigen Hauptwerke der karolingischen Buchmalerei Eingang. Wertvolle Prachthandschriften – zumal, wenn es sich um liturgische Bücher handelte – genossen stets eine bevorzugte Behandlung. Die exklusivsten Codices waren keine Gebrauchsliteratur, sondern gehörten als liturgisches Gerät zum Kirchenschatz oder dienten vorwiegend repräsentativen Aufgaben, wie die häufig geringen Gebrauchsspuren nahelegen.[15]Illustrationen auf dem sehr haltbaren Pergament sind zudem in einem geschlossenen Buch vor äußeren Einflüssen gut geschützt und die Codices wurden lange Zeit nicht in offenen Regalen sondern in Truhen, seltener in verschließbaren Schränken aufbewahrt. So haben sich gerade die illustrierten Manuskripte relativ zahlreich aus karolingischer Zeit erhalten und viele Miniaturen überdauerten die vergangenen rund zwölf Jahrhunderte in einem sehr guten Zustand. Die meisten überlieferten Bilderhandschriften sind vollständig erhalten, fragmentarische Überlieferung ist selten. Dass dennoch mit einer nennenswerten Zahl verlorener illuminierter Handschriften zu rechnen ist, beweisen spätere Illustrationen, die Nachwirkungen nicht erhaltener Bildvorlagen sind.[16] In einigen Fällen sind nicht mehr existierende illuminierte Codices bezeugt, so ein „goldener Psalter“ der Königin Hildegard aus der Frühzeit der karolingischen Buchmalerei.[17]

Elfenbeintafel vom Buchdeckel des Lorscher Evangeliars.
Die leicht einschmelzbaren goldenen Buchdeckel haben dagegen nur in wenigen Fällen dem Zugriff späterer Zeiten standgehalten. Häufiger sind die Elfenbeinplatten der Einbände erhalten, jedoch in keinem Fall im Zusammenhang mit dem Codex, den sie ursprünglich schmückten. Die fünf Platten des Lorscher Evangeliars befinden sich heute im Vatikanischen Museum. Zumindest die untere Elfenbeinplatte ist kein karolingisches Werk, sondern ein spätantikes Original, wie eine Inschrift auf ihrer Rückseite beweist.[18] Die einzigen sicher zu datierenden Elfenbeintafeln sind diejenigen des Dagulf-Psalters, die in dessen Widmungsgedicht genau beschrieben werden und so mit zwei Tafeln im Pariser Louvre identifiziert werden konnten.[19] Die Buchmalerei stand in enger Wechselbeziehung mit der Elfenbeinschnitzerei. Den kleinformatigen, leicht transportablen Kunstwerken kam eine wichtige Rolle als Vermittler antiker und byzantinischer Kunst zu. Von der karolingischen Großskulptur haben sich dagegen nur wenige Fragmente erhalten, etwas besser sind Werke der Goldschmiedekunst überliefert. Im Zusammenhang mit der Buchmalerei ist hier besonders der Buchdeckel des Codex aureus von St. Emmeram aus der Hofschule Karls des Kahlen von Interesse.
Durch die relativ gute Überlieferungslage haben die karolingische Buchmalerei und Kleinplastik für die Kunstgeschichte noch größere Bedeutung, als dies für andere Epochen gilt, da alle anderenKunstgattungen aus karolingischer Zeit ausgesprochen schlecht erhalten sind. Dies gilt insbesondere für die monumentale Wandmalerei, die wie in der späteren ottonischen und romanischen Zeit die Leitgattung der karolingischen Malerei war. Es ist davon auszugehen, dass jede Kirche sowie die Paläste mit Fresken ausgemalt waren,[1] die minimalen erhaltenen Reste erlauben jedoch keine anschauliche Vorstellung von der einstigen Bilderpracht mehr. Auch Mosaiken in antiker Tradition spielten eine Rolle, so war die Pfalzkapelle in Aachen mit einem prächtigen Kuppelmosaik geschmückt.[1]

 

Vorläufer und Einflüsse

Merowingische Buchmalerei

Sacramentarium Gelasianum(Nordostfränkisch, Mitte des 8. Jahrhunderts)
Die Karolingische Renaissance bildete sich in einem ausgesprochenen „kulturellen Vakuum“[20] aus, ihr Zentrum wurde Karls Residenz Aachen. Die merowingische Buchmalerei, benannt nach der den Karolingern vorausgehenden Herrscherdynastie im Frankenreich, blieb rein ornamental. Die mit Lineal und Zirkel konstruierten Initialen sowie Titelbilder mit Arkaden und eingestelltem Kreuz sind fast die einzige Illustrationsform. Seit dem 8. Jahrhundert traten zunehmend zoomorphe Ornamente auf, die so dominant wurden, dass etwa in Handschriften aus dem Frauenkloster Chellesganze Zeilen ausschließlich aus Buchstaben bestehen, die aus Tieren gebildet sind. Im Gegensatz zur gleichzeitigen insularen Buchmalerei mit wuchernder Ornamentik strebte die merowingische nach einer klaren Ordnung des Blattes. Eines der ältesten und produktivsten Skriptorien war das des 590 von dem irischen Mönch Columban gegründete Klosters Luxeuil, das 732 zerstört wurde. Das 662 gegründete Kloster Corbie entwickelte einen ausgeprägten eigenen Illustrationsstil, Chelles und Laon waren weitere Zentren der merowingischen Buchillustration. Ab der Mitte des 8. Jahrhunderts wurde diese stark von der insularen Buchmalerei beeinflusst. Ein Evangeliar aus Echternach beweist, dass es in diesem Kloster zu einer Zusammenarbeit irischer und merowingischer Schreiber und Buchmaler gekommen ist.
Die insulare Buchmalerei

Die Miniaturen des Codex aureus von Stockholm(Canterbury, Mitte des 8. Jahrhunderts) sind ungewöhnlich für die insulare Buchmalerei und weisen auf die Hofschule Karls des Großen voraus.
Bis zur Karolingischen Renaissance waren die britischen Inseln der Zufluchtsort römisch-frühchristlicher Überlieferung, die dort jedoch durch die Vermischung mit keltischen und germanischenElementen einen eigenständigen insularen Stil hervorgebracht hatte, dessen teils heftig expressiver, das Ornament bevorzugender und strikt zweidimensionaler Charakter letztlich in seinem Antinaturalismus der antiken Formensprache geradezu entgegenstand.[21] Nur ausnahmsweise bewahrten die insularen Buchmalereien klassische Gestaltungselemente, so der Codex Amiatinus(Südengland, um 700) oder der Codex aureus von Stockholm (Canterbury, Mitte des 8. Jahrhunderts).

Im fränkischen Kloster St. Gallen von irischen Mönchen illustriertes Evangeliar des 8. Jahrhunderts
Durch die von Irland und Südengland ausgehende iro-schottische Mission wurde der europäische Kontinent stark von der insularen Klosterkultur geprägt. In ganz Frankreich, Deutschland und sogar in Italien gründeten irische Mönche im 6. und 7. Jahrhundert Klöster, die sogenannten Schottenklöster. Zu diesen zählten Annegray, Luxeuil, St. Gallen, Fulda, Würzburg, Sankt Emmeram in Regensburg, Trier, Echternach und Bobbio. Im 8. und 9. Jahrhundert folgte ein zweiter, angelsächsischer Missionsschub. Über diesen Weg gelangten zahlreiche illuminierte Handschriften auf das Festland, die besonders in Schrift und Ornamentik starken Einfluss auf die jeweiligen regionalen Formensprachen hatten. Während in Irland und England wegen der Überfälle der Wikinger ab Ende des 8. Jahrhunderts die Buchproduktion weitgehend zum Erliegen kam, entstanden auf dem Kontinent noch einige Jahrzehnte Buchmalereien in insularer Tradition. Neben den Werken der karolingischen Hofschulen blieb dieser Traditionszweig lebendig und prägte in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts die franko-sächsische Schule, aber auch die Hofschulen übernahmen Elemente der insularen Buchmalerei, speziell die Initialseite.
Antikenrezeption

Autorenbild des Terenz. Karolingische Kopie nach antiker Vorlage (Lotharingien, evtl. Aachen, um 825).
Der Rückgriff auf die Antike war das Hauptcharakteristikum der karolingischen Kunst schlechthin. Die programmatische Adaption antiker Kunst orientierte sich konsequent am spätrömischen Kaisertum und fügte sich in die als renovatio imperii romani bezeichnete Grundidee ein, das Erbe des Römischen Reiches in allen Bereichen zu beanspruchen. Die Künste fügten sich als elementarer Bestandteil in die geistige Strömung der karolingischen Renaissance ein.
Von großer Bedeutung für die Rezeption der antiken Kunst war das Studium originaler Werke, die besonders in Rom noch zahlreich erhalten waren. Für die Künstler und Gelehrten des Nordens, die Italien nicht aus eigener Anschauung kannten, kam Werken der antiken Buchmalerei eine wesentliche Mittlerrolle zu, denn neben der Kleinplastik gelangte nur das Buch unmittelbar in die Werkstätten und Bibliotheken nördlich der Alpen. Nachweislich verwendete das Skriptorium in Tours auch antike Originale als Vorlage. So wurden Figuren aus dem Vergilius Vaticanus, der sich im Besitz der touronischen Bibliothek befand, abgepaust und finden sich in den Bibeln wieder.[22] Andere antike Handschriften im Besitz der bedeutenden Bibliothek waren die Cotton-Genesis und die Leo-Bibel aus dem 5. Jahrhundert.[23] Viele verlorene illustrierte Bücher der Antike sind heute nur durch karolingische Kopien erschließbar.
Byzanz

Die vier Evangelisten imSchatzkammer-Evangeliar(Aachen, Anfang 9. Jahrhundert), das von italo-byzantinischen Künstlern illuminiert wurde.
Neben den Originalwerken vermittelte die byzantinische Kunst das antike Erbe, das dort in weitgehend ungebrochener Tradition produktiv fortgeführt worden war. Allerdings bedeutete der byzantinische Bilderstreit, der zwischen 726 und 843 den religiösen Bilderkult unterband und eine Welle der Bilderzerstörung nach sich zog, einen wichtigen Einschnitt für die Kontinuität der Überlieferung. Mit demExarchat von Ravenna besaß Byzanz noch bis in das 8. Jahrhundert einen wichtigen Brückenkopf im Westen. Künstler, die aus Byzanz vor der Verfolgung wegen des Bilderverbotes geflohen waren, beförderten auch die Römische Kunst.[20] Aus dem byzantinisch geprägten Italien zog Karl der Große Künstler an seinen Hof, die die Werke der sogenannten Palastschule schufen.
Italien
Italien war nicht nur als Vermittler klassischer und byzantinischer Kunst von Bedeutung. Rom erlebte eine besonders ausgeprägte renovatio-Bewegung, die mit der karolingischen Renaissance im Frankenreich in Beziehung stand.[24] Durch seine Rolle als Schutzherrschaft des Papsttums war das Frankenreich Rom eng verbunden, das trotz seines Niedergangs seit der Völkerwanderungszeit noch immer als caput mundi, als Haupt der Welt, galt. In den Jahren 774, 780/781 und anlässlich seiner Kaiserkrönung im Jahr 800 hielt sich Karl der Große selbst längere Zeit in Rom auf.
Seit dieser 774 das Langobardenreich erobert hatte, flossen von dort reiche Kulturströme nach Norden. Die Buchmalereien der Hofschule Karls des Großen weisen Gemeinsamkeiten mit langobardischen Werken auf und schon die für fränkische Könige neue Idee, Prachthandschriften in Auftrag zu geben, könnte auf Vorbilder am langobardischen Hof in Pavia zurückgehen.[25]

Entwicklung der karolingischen Buchmalerei

Zur chronologischen Entwicklung und topografischen Verteilung siehe die Übersicht Hauptwerke der karolingischen Buchmalerei.
Einen einheitlichen karolingischen Stil gibt es nicht. Stattdessen haben sich drei Zweige herausgebildet, die auf sehr unterschiedliche Malschulen zurückgehen. Zwei höfische Malschulen waren am Aachener Hof Karls des Großen um 800 tätig und werden als „Hofschule“ bzw. „Palastschule“ bezeichnet. Auf dieser Grundlage entwickelten sich ausgeprägte Werkstattstile, vor allem im Reims, Metz und Tours, die selten länger als zwei Jahrzehnte produktiv blieben und stark von der jeweiligen Tradition des Skriptoriums, dem Umfang und der Qualität der vorhandenen Bibliothek sowie von der Persönlichkeit einer Stifterpersönlichkeit abhängig waren. Ein dritter, von den Hofschulen weitgehend unabhängiger Stil führte die insulare Buchmalerei als franko-sächsische Schule fort und dominierte die Buchmalerei seit Ende des 9. Jahrhunderts.
Beiden höfischen Malschulen ist die direkte Auseinandersetzung mit der Formensprache der Antike sowie das Bemühen um eine vorher nicht dagewesene Klarheit des Seitenbildes gemeinsam. War die insulare und merowingische Buchmalerei von abstrakten Flechtmustern und schematisierten Tierornamenten geprägt, so nahm die karolingische Kunst mit dem Eierstabmuster, der Palmette, derWeinranke und dem Akanthus klassische Ornamente wieder auf. In der figürlichen Malerei bemühten sich die Künstler um eine nachvollziehbare Darstellung der Anatomie und Physiologie, der Dreidimensionalität von Körpern und Räumen sowie um Lichteffekte auf Oberflächen. Besonders das Element der Wahrscheinlichkeit überwand die vorangegangenen Schulen, deren schildernde Darstellungen, anders als ihre abstrakten Bilder, „unbefriedigend, um nicht zu sagen lächerlich“[26] waren.
Die klare Ordnung der Buchmalerei war nur ein Teil der karolingischen Reformation des Buchwesens. Sie bildete eine konzeptionelle Einheit mit der sorgfältigen Redaktion von Mustereditionen der biblischen Bücher sowie der Entwicklung einer einheitlichen, klaren Schrift, der karolingischen Minuskel. Daneben trat – vor allem als Schmuck- und Gliederungselement – der ganze Kanon antiker Schriften auf, etwa die Unziale und die Halbunziale.
Typen illustrierter Bücher und ikonographische Motive
Dem Buch kam durch die Verbindung von Text und Bild eine besondere Bedeutung als Instrument der Verbreitung des renovatio-Gedankens im Reich zu. Im Zentrum der Reformbemühungen um eine einheitliche Regelung der Liturgiestand das Evangeliar. Der Psalter war der erste Typus eines Gebetbuchs. Etwa ab der Mitte des 9. Jahrhunderts erweiterte sich das Spektrum der zu illustrierenden Bücher um die Vollbibel und das Sakramentar. Die Ausführung dieser liturgischen Bücher wurde in der Admonitio generalis von 789 ausdrücklich nur erfahrenen Händen, perfectae aetatis homines,[27] anvertraut.

Evangelist Matthäus im Krönungsevangeliar (Aachen, kurz vor 800).
Hauptschmuck der Evangeliare waren Darstellungen der vier Evangelisten. Die Majestas Domini, das Bild des thronenden Christus, kommt anfangs selten, Marienbilder und Darstellungen anderer Heiliger während der gesamten karolingischen Epoche fast gar nicht vor. Im Jahr 794 hatte sich die Synode von Frankfurt mit dem byzantinischen Bilderstreit auseinandergesetzt und dieBilderverehrung verboten, wies der Malerei aber die Aufgabe der Belehrung und Unterweisung zu. Als offizielle Stellungnahme des Kreises um Karl den Großen in diesem Sinne gelten die Libri Carolini , deren Verfasser wahrscheinlich Theodulf von Orléans war.[28] Eine frühe Majestas Domini-Darstellung taucht 781/783, also einige Jahre vor der Festlegung auf diese Position, im Godescalc-Evangelistar auf. Nachdem 825 eine fränkische Synode die Bestimmungen lockerte, erweiterte sich die Skala bildwürdiger Themen besonders in den Schulen von Metz und Tours.[29]Seit Mitte des 9. Jahrhunderts war das Motiv der Majestas Domini ein zentrales Motiv besonders der touronischen Evangeliare und Bibeln[30] und gehörte nun zusammen mit den Evangelistenbildern zu einem festen ikonologischen Illustrationszyklus. Im Godescalc-Evangelistar taucht zum ersten Mal das Motiv des Lebensbrunnens auf, das im Evangeliar von Médard-Soissons wiederholt wird. Ein anderes neues Motiv war die Anbetung des Lammes. Zum festen Bestandteil der Evangeliare gehören Kanontafeln mit Arkadenrahmungen. Charakteristisch für die Hofschule Karls des Großen waren Thronarchitekturen, die bei den Werken der Palastschule sowie der Schulen von Reims und Tours fehlen. Von der insularen Buchmalerei übernahmen die Buchmaler die Initialseite.

Darstellung Karls des Kahlen in derVivian-Bibel, über ihm die Hand Gottes (Tours, 845/846).
Ein zentrales Motiv war seit der Zeit Ludwigs des Frommen das Herrscherbild, das vor allem in Handschriften aus Tours auftaucht. In Hinsicht auf die programmatische Aneignung des römischen Erbes im Sinne einer Erneuerung und damit der Legitimation karolingischer Herrschaft kam diesem Motiv eine besondere Bedeutung zu. Aus dem Vergleich der Bilder mit Beschreibungen in zeitgenössischer Literatur, etwa Einhards Vita Karoli Magni oderThegans Gesta Hludowici, lässt sich schließen, dass es sich um typologische Bildnisse im Geist und nach dem Vorbild römischer Herrscherbildnisse handelt, die mit naturalistisch-porträthaften Elementen angereichert wurden.[31] Die sakrale Bedeutung des Kaiseramtes wird in fast allen karolingischen Herrscherbildern thematisiert, die dementsprechend besonders in liturgischen Büchern vorkommen. Häufig erscheint die Hand Gottes über den Herrschern. Am deutlichsten wird die sakrale Konnotation in einer Darstellung des nimbierten, das Kreuz tragenden Ludwigs des Frommen als Illustration von De laudibus sanctae crucis des Rabanus Maurus.[2]

Cepheus-Darstellung in der Leidener Aratea-Handschrift.
Neben den liturgischen wurden relativ wenig weltliche Bücher illustriert, unter denen Kopien spätantiker Sternbildzyklen eine besondere Rolle spielen. Aus diesen ragt eine Aratea-Handschrift aus der Zeit um 830–840 heraus, die später einige Male kopiert wurde. Der Berner Physiologus (Reims, um 825–850) ist die bedeutendste aus einer Reihe von illustrierten Handschriften der Naturlehre des Physiologus. Ein für das Mittelalter wichtiges Lehrbuch war Boëthius’ Werk De institutione arithmetica libri II, das in den 840er Jahren in Tours für Karl den Kahlen illuminiert wurde.[32] Unter den illustrierten Werken klassischer Literatur sind besonders Handschriften mit Komödien des Terenz, die um 825 in Lotharingien[4] beziehungsweise in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts in Reims[33] zu nennen sowie ein Manuskript mit Gedichten des Prudentius,[34] das möglicherweise aus dem Kloster Reichenau stammt und im letzten Drittel des 9. Jahrhunderts illustriert wurde.
Alltagsszenen finden sich besonders zahlreich in Psalmenillustrationen eingebettet, so im Utrechter, im Stuttgarter und im Goldenen Psalter von St. Gallen. Andere Bücher wie ein Martyrologium des Wandalbert von Prüm[35] (Reichenau, drittes Viertel des 9. Jahrhunderts) enthalten gelegentlich Monatsbildermit den bäuerlichen Tätigkeiten im Laufe des Jahres, Dedikationsbilder oder Darstellungen schreibender Mönche. Noch keine Rolle für die karolingische Buchmalerei spielten die Historiographie sowie juristische Texte. Volkssprachige Literatur wurde nur in wenigen Ausnahmefällen überhaupt kodifiziert und genoss bei Weitem nicht die Wertschätzung, die für eine Illuminierung notwendig gewesen wäre. Dies gilt selbst für anspruchsvolle Bibeldichtung wie Otfrieds Evangelienbuch.
Die Buchmalerei zur Zeit Karls des Großen

Der Evangelist Markus im Lorscher Evangeliar (Aachen, um 810).
Die klösterlich und stark von der insularen Buchillustration geprägte merowingische Buchkultur setzte sich zunächst unbeeinflusst vom Wechsel der fränkischen Herrscherdynastie fort. Dies änderte sich Ende des 8. Jahrhunderts schlagartig, als Karl der Große (Regierungszeit 768–814) zur Reform des gesamten geistigen Lebens die bedeutendsten Gestalten seiner Zeit an seinem Hof in Aachen versammelte. Nach seiner Italienreise 780/781 berief Karl den Briten Alkuin zum Leiter der Hofschule, den er in Parma kennengelernt und der zuvor die Schule von York geleitet hatte. Andere Gelehrte am Hofe Karls waren Petrus Diaconus oder Theodulf von Orléans, die auch die Kinder Karls sowie junge Adlige am Hof unterrichteten. Viele dieser Gelehrten wurden nach einigen Jahren als Äbte oder Bischöfe an wichtige Stätten des Fränkischen Reiches entsandt, denn mit dem Erneuerungsgedanken war der Wille verbunden, dass die geistigen Errungenschaften des Hofes auf das gesamte Riesenreich ausstrahlen sollte. So wurde Theodulf zum Bischof von Orléans, Alkuin im Jahr 796 zum Bischof von Tours berufen. Für ihn übernahm Einhard die Leitung der Hofschule.
Um 800 entstanden an Karls Hof zwei sehr unterschiedliche Gruppen von Prachthandschriften für den liturgischen Gebrauch in den großen Klöstern und an den Bischofssitzen. Die beiden Handschriftengruppen werden entweder nach herausragenden Werken als „Ada-Gruppe“ beziehungsweise „Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars“ oder als „Hofschule“ beziehungsweise „Palastschule Karls des Großen“ bezeichnet. Die illustrierten Texte beider Werkgruppen stehen in engstem Zusammenhang, während die Illustrationen selbst stilistisch keinerlei Berührungspunkte haben. Das Verhältnis der beiden Malschulen zueinander ist deshalb seit langem umstritten. Für die Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars wurde immer wieder ein anderer Auftraggeber als Karl der Große diskutiert,[22] die Indizien sprechen jedoch für eine Lokalisierung am Aachener Hof.[36]
Die Ada-Gruppe oder Hofschule

Maiestas domini-Darstellung imGodescalc-Evangelistar(wahrscheinlich Aachen, 781/783).
Die erste Prachthandschrift, die Karl zwischen 781 und 783, also unmittelbar nach seiner Romfahrt, in Auftrag gab, war das nach seinem Schreiber benannte Godescalc-Evangelistar. Möglicherweise entstand dieses Werk noch nicht in Aachen, sondern in der Königspfalz Worms.[17] Die große Initialseite, Zierbuchstaben und ein Teil der Ornamentik entstammen der insularen, nichts erinnert aber an die merowingische Buchmalerei. Das Neue der Illumination sind die der Antike entnommenen Schmuckelemente, plastisch-figürlichen Motive sowie die verwendete Schrift. Die ganzseitigen Miniaturen – der thronende Christus, die vier Evangelisten sowie der Lebensbrunnen – streben nach realer Körperlichkeit und einer logischen Verbindung zum dargestellten Raum und wirkten so stilbildend für die folgenden Werke der Hofschule. Der Text wurde mit goldener und silberner Tinte auf purpurgefärbtem Pergament geschrieben.

Der Evangelist Matthäus in der Ada-Handschrift (Aachen, um 800).
Den Handschriften der Ada-Gruppe aus der nun sicher in Aachen zu lokalisierenden Hofschule ist die bewusste Auseinandersetzung mit dem antiken Erbe sowie ein übereinstimmendes Bildprogramm gemeinsam. Sie orientieren sich dabei vermutlich vorwiegend an spätantiken Vorlagen aus Ravenna.[37] Neben prachtvollen, Architekturmotive oder edelsteinverzierte Bilderrahmen imitierenden Arkaden und insular beeinflussten Initial-Zierseiten gehören großflächige Evangelistenbilder zur Ausstattung, die seit der Ada-Handschrift einen Grundtyp vielfach variieren. Den Figuren mit klar konturierter Binnenzeichnung wird durch schwellende, reiche Gewänder zum ersten Mal seit römischer Zeit wieder Körperlichkeit, dem Raum Dreidimensionalität zurückgegeben.[38]Den Bildern ist ein gewisser horror vacui, die Angst vor der Leere, gemeinsam, so füllen ausladende Thronlandschaften die Blätter mit den Evangelistenbildern.
Um 790 entstanden der erste Teil der Ada-Handschrift und ein Evangeliar aus Saint-Martin-des-Champs. Es folgte der ebenfalls nach seinem Schreiber benannte, vor 795 geschriebenen Dagulf-Psalter, der nach dem Widmungsgedicht von Karl selbst in Auftrag gegeben wurde und als Geschenk für PapstHadrian I. bestimmt war. Noch Ende des 8. Jahrhunderts sind die Evangeliare in Abbeville und in London,[39] anzusetzen, um 800 das Evangeliar von Saint Médard in Soissons sowie der zweite Teil der Ada-Handschrift und um 810 das Lorscher Evangeliar. Ein Fragment eines Evangeliars in London[40] beschließt die Reihe der illustrierten Handschriften aus der Hofschule. Nach dem Tod Karls des Großen löste sie sich anscheinend auf.[28]So bestimmend ihr Einfluss bis dahin war, scheint sie für die Buchmalerei der folgenden Jahrzehnte doch nur wenig Spuren hinterlassen zu haben.[28]Nachwirkungen lassen sich in Fulda, Mainz, Salzburg und im Umkreis von Saint-Denis sowie einigen nordostfränkischen Skriptorien nachweisen.[16]
Die Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars oder Palastschule

Johannes der Evangelist imKrönungsevangeliar (Aachen, kurz vor 800).
Eine zweite, wohl ebenfalls in Aachen zu lokalisierende,[29] aber deutlich von den Illustrationen der Hofschule abweichende Handschriftengruppe steht eher in hellenistisch-byzantinischer Tradition und gruppiert sich um das Wiener Krönungsevangeliar, das um 800 hergestellt wurde. Der Legende zufolge fand Otto III. die Prachthandschrift bei der Öffnung des Grabes Karls des Großen im Jahr 1000. Seitdem war das auch künstlerisch bedeutendste Manuskript dieser Werkgruppe Bestandteil derReichsinsignien und die deutschen Könige legten den Krönungseid auf das Evangeliar ab. In Abgrenzung zur Hofschule werden die Handschriften der Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars einer sogenannten Palastschule Karls des Großen zugerechnet. Ihr gehören vier weitere Manuskripte an: Das Schatzkammer-Evangeliar, das Xantener Evangeliar und ein Evangeliar aus Aachen,[41] die alle Anfang des 9. Jahrhunderts anzusetzen sind.

Evangelist im Xantener Evangeliar (Aachen, Anfang des 9. Jahrhunderts)
Die Manuskripte der Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars haben in ihrer Zeit im nördlichen Europa keine Vorläufer. Die mühelose Virtuosität, mit der die spätantiken Formen realisiert wurden, müssen die Künstler in Byzanz, vielleicht auch in Italien erlernt haben.[29] Im Vergleich mit der Ada-Gruppe der Hofschule fehlt ihnen insbesondere der horror vacui. Die durch dynamische Schwünge bewegten Figuren der Evangelisten sind in der Haltung antiker Philosophen dargestellt. Ihre kraftvoll modellierten Körper, luftige und lichtdurchflutete Landschaften sowie mythologische Personifikationen und andere klassische Motive verleihen den Werken dieser Gruppe den atmosphärischen und illusionistischen Charakter der hellenistischen Malweise.
Zu Lebzeiten Karls scheint die Palastschule ein relativ isolierter Sonderfall der Buchmalerei gewesen zu sein, die im Schatten der Hofschule stand.[29] Nach Karls Tod war es jedoch diese Malschule, die sehr viel stärkeren Einfluss auf die karolingische Buchmalerei ausübte, als die Ada-Gruppe.
Die Buchmalerei zur Zeit Ludwigs des Frommen

Ebo-Evangeliar (Reims, zwischen 816 und 835): Evangelist Matthäus
Nach dem Tod Karls verlagerte sich die Hofkunst unter Ludwig dem Frommen (Regierungszeit 814–840) nach Reims, wo in den 820er und frühen 830er Jahren unter Erzbischof Ebo besonders die dynamisch bewegte Bildauffassung des Wiener Krönungsevangeliars rezipiert wurde. Ebo galt vor seiner Berufung nach Reims im Jahr 816 als „Bibliothekar des Aachener Hofes“[42] und brachte das Erbe der Karolingischen Renaissance mit. Die in einer anderen Maltradition verwurzelten Reimser Künstler verwandelten den ohnehin schon lebendigen Stil der Palastschule in einen expressiven Zeichenstil mit nervös-wirbelnder Linienführung und ekstatisch erregten Figuren. Die skizzenhaften Bilder mit der dichten, gezackten Strichführung weisen eine größtmögliche Entfernung zu dem ruhigen Bildaufbau der Aachener Hofschule auf. In Reims und in der nahen Abtei Hautvillers entstanden als Hauptwerke um 825 das Ebo-Evangeliar und vielleicht vom gleichen Künstler der außergewöhnliche, mit nichtkolorierten Federzeichnungen illustrierte Utrechter Psalter sowie der Berner Physiologus und das Evangeliar von Blois.[43] Die 166 Darstellungen des Utrecht-Psalters zeigen neben paraphrasierenden Illustrationen der Psalmen zahlreiche Alltagsszenen.

Psalmenillustration im Utrechter Psalter (Reims, um 825).
Neben dem Kaiserhof traten allmählich auch die großen Reichsklöster und Bischofsresidenzen mit leistungsstarken Skriptorien wieder stärker in Erscheinung. 796 bis zu seinem Tod 804 war Alkuin, zuvor religiöser und kultureller Berater Karls des Großen, als Abt nach St. Martin in Tours delegiert, um den Erneuerungsgedanken in diese wichtige Stadt des Fränkischen Reiches zu tragen. Unter dem bilderkritischen Alkuin blühte das Skriptorium, Illustrationen fehlten den Handschriften jedoch zunächst und sind in größerem Umfang erst unter seinen Nachfolgern nachzuweisen. Alkuin stand im Bilderstreit figürlichen Darstellungen offensichtlich eher kritisch gegenüber,[23] so dass die Bibeln aus seiner Zeit lediglich mit bemerkenswerten Kanontafeln ausgeschmückt waren, wie die sogenannte Alkuin-Bibel.[44]

Initiale C im Drogo-Sakramentar (Metz, 842).
Unter Erzbischof Drogo (823–855), einem illegitimen Sohn Karls des Großen, knüpfte die Metzer Schule an die Hofschule Karls an. Das um 842 entstandene Drogo-Sakramentar ist das Hauptwerk dieses Ateliers, von dessen Arbeiten unter anderem ein astronomisch-komputistisches Lehrbuch[45]erhalten ist. Die originäre Leistung der Metzer Schule ist die historisierte Initiale, das heißt der mit szenischen Darstellungen bevölkerten Zierbuchstabe, der das ureigenste Element der gesamten mittelalterlichen Buchmalerei werden sollte.
Die Hofschulen Karls des Kahlen und Kaiser Lothars

Karl der Kahle im Codex aureus von St. Emmeram(wahrscheinlich St. Denis, um 870).
Nach der Aufteilung des Fränkischen Reiches im Vertrag von Verdun 843 erreichte die karolingische Buchmalerei im Umkreis des nun westfränkischen Königs Karls des Kahlen (Regierungszeit 840–877, Kaiser 875–877) ihre höchste Blüte. Vorsteher der Hofschule Karls war Johannes Scotus Eriugena, der als Kunsttheoretiker die ästhetische Auffassung des gesamten Mittelalters richtungsweisend formulierte. Eine Führungsrolle für die Buchmalerei übernahm das Kloster in Tours unter den Äbten Adalhard (834–843) und Vivian (844–851). Ab etwa 840 entstanden riesige illustrierte Vollbibeln, die unter anderem für Klosterneugründungen bestimmt waren, darunter um 840 die Moutier-Grandval-Bibel und 846 die Vivian-Bibel. Nach dem Friedensschluss Karls mit seinem Bruder 849 stand das Kloster auch in enger Verbindung mit Kaiser Lothar I. Mit dem Lothar-Evangeliar erreichte die Schule von Tours ihren künstlerischen Höhepunkt. Die Werkstatt von Tours stand unter unmittelbarem und starkem Einfluss der Reimser Schule. Das Skriptorium von Tours war das einzige der gesamten karolingischen Zeit, das über mehrere Generationen hinweg produktiv blieb, mit der Zerstörung durch die Normannen im Jahr 853 endete seine Blütezeit jedoch unvermittelt.
Ist Tours bis dahin als Ort der Hofschule Karls des Kahlen anzusehen, so übernahm nach der Zerstörung des Klosters wahrscheinlich St. Denis bei Paris diese Rolle,[30]wo Karl der Kahle 867 Laienabt wurde. Aus der Zeit nach 850 stammen einige besonders reich ausgeschmückte Handschriften, darunter ein Psalter (nach 869) und einSakramentar-Fragment. Die prächtigsten Manuskripte sind der Codex aureus von St. Emmeram, der um 870 im Auftrag Karls des Kahlen illuminiert wurde, und die etwa zur gleichen Zeit mit Goldtinte auf Purpurgrund geschriebene Bibel von St. Paul mit 24 ganzseitigen Miniaturen und 36 Initial-Zierseiten.
Die Hofschule Kaiser Lothars war wahrscheinlich in Aachen angesiedelt.[46] Sie nahm den Stil der Palastschule Karls des Großen wieder auf und hatte anscheinend engen Kontakt zum Reimser Skriptorium, wie ein Evangeliar zeigt.
Die Buchmalerei außerhalb der Hofschulen

Initiale eines Psalters aus Corbie (um 800).
Während die bedeutendsten Buchillustrationen an den karolingischen Höfen oder in eng mit dem Hof verbundenen Abteien und Bischofsresidenzen entstanden, pflegten viele klösterliche Ateliers eigene Traditionen. Teilweise waren diese von der insularen Buchmalerei geprägt oder sie führten den merowingischen Stil fort. In einigen Fällen kam es zu eigenständigen Leistungen. Die Buchkunst des Klosters Corbie hatte bereits in merowingischer Zeit eine wichtige Rolle für die Buchmalerei gespielt, und die Schrift des Klosters gilt als Grundlage der Karolingischen Minuskel. Bemerkenswert ist ein Psalter aus Corbie[47] (um 800), dessen Figureninitialen weder mit der höfischen karolingischen, noch mit der insularen Buchmalerei in Verbindung zu bringen sind und der auf die romanische Buchmalereivorausweist. Bereits um 788 entstand im Kloster Mondsee der reich ausgestattete Psalter von Montpellier, der wahrscheinlich für ein Mitglied der bayerischen Herzogsfamilie bestimmt war.
Ein Sonderfall sind die Bibeln und Evangeliare, die im ersten Viertel des 9. Jahrhunderts unter Bischof Theodulf in Orléans geschrieben wurden. Theodulf war neben Alkuin der führende Theologe am Hofe Karls des Großen und wahrscheinlich Autor der Libri Carolini. Mehr noch als Alkuin war er bilderkritisch eingestellt, und so handelt es sich bei den Codices aus seinem Skriptorium[48] zwar um aufwendig gestaltete purpurgefärbte und mit Gold- und Silbertinte geschriebene Prachthandschriften, ihr malerischer Schmuck beschränkt sich jedoch auf Kanontafeln. Auch ein Evangeliar aus demKloster Fleury,[49] das zur Diözese Orléans gehörte, enthält neben 15 Kanontafeln lediglich eine Miniatur mit den Evangelistensymbolen.

Illustration zu De Laudibus Sanctae Crucis des Rabanus Maurus (Fulda, um 840).[2]
Die Malschule von Fulda war anscheinend eine der wenigen in der Nachfolge der Aachener Hofschule.[28] Deutlich wird diese Abhängigkeit am Fuldaer Evangeliar in Würzburg[50] aus der Mitte des 9. Jahrhunderts. Sie nahm darüber hinaus aber auch Anleihen bei griechischen Vorbildern, so ist die nimbierte Gestalt Ludwigs des Frommen in einer Abschrift von de laudibus sanctae crucis[2] des Rabanus Maurus als Bildgedicht ganz von dem Text umwoben und nimmt so Bezug auf DarstellungenKonstantins des Großen.[51] Rabanus Maurus, ein Schüler Alkuins, war bis 842 Abt des Fuldaer Klosters.
Der Übergang zur ottonischen Kunst

Der Goldene Psalter von St. Gallen (2. Hälfte des 9. Jahrhunderts, vor 883) ist die berühmteste Handschrift der St. Galler Schule.
Nach dem Tod Karls des Kahlen 877 begann für die bildende Kunst eine rund hundert Jahre währende unfruchtbare Zeit. Nur in den Klöstern lebte die Buchmalerei – meist auf vergleichsweise bescheidenem Niveau – fort, die Höfe der karolingischen Herrscher spielten keine Rolle mehr. Mit der Verlagerung der Machtverhältnisse kam den ostfränkischen Klöstern eine wachsende Bedeutung zu. Besonders der Initialstil des Klosters St. Gallen, aber auch die Buchmalereien der Klöster Fulda und Corveynahmen eine Mittlerrolle zur ottonischen Buchmalerei ein. Weitere klösterliche Zentren des ostfränkischen Reiches waren die Skriptorien in Lorsch, Regensburg, Würzburg, Mondsee, Reichenau, Mainz und Salzburg. Besonders die Klöster in Alpennähe standen in engem künstlerischem Austausch mit Oberitalien.

Initialseite IN PRINCIPIOder Zweiten Bibel Karls des Kahlen (Saint-Amand, zwischen 871 und 873).
Im heutigen Nordfrankreich hatte sich, verstärkt seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, die sogenannte franko-sächsische (bedeutet: fränkisch-angelsächsische)Schule entwickelt, deren Buchschmuck weitgehend auf Ornamentik beschränkt blieb und wieder auf die insulare Buchmalerei zurückgriff. Eine Vorreiterrolle hatte das Kloster St. Amand inne, daneben traten unter anderem die Abteien St. Vaast in Arras, Saint-Omer und St. Bertin in Erscheinung. Ein frühes Beispiel dieses Stils ist ein im zweiten Viertel des 9. Jahrhunderts für Ludwig den Deutschen geschriebener Psalter aus Saint-Omer. Die bedeutendste Handschrift der franko-sächsischen Schule ist die sogenannte Zweite Bibel Karls des Kahlen, die zwischen 871 und 873 im Kloster Saint-Amand entstand.

Die Majestas Domini imPetershausener Sakramentar(Reichenau, um 970) ist eine Kopie derjenigen im Lorscher Evangeliar[52] (Aachen, um 810).
Erst gegen 970 setzte unter den gewandelten Vorzeichen des jetzt sächsischen Herrscherhauses ein neuer, ganz anders gearteter Stil in der Buchmalerei ein.[53] Die ottonische Kunst wird in Analogie zur karolingischen auch als „Ottonische Renaissance“ bezeichnet, doch griff sie kaum unmittelbar auf antike Vorbilder zurück. Vielmehr bezog sich diese, beeinflusst von der byzantinischen Kunst, auf die karolingische Buchmalerei. Dabei entwickelte die ottonische Buchmalerei eine ausgeprägt eigene, homogene Formensprache, an ihrem Beginn standen jedoch Adaptionen karolingischer Werke. So wurde die Majestas Domini des Lorscher Evangeliars im späten 10. Jahrhundert auf der Reichenau im Petershausener Sakramentar und im Gero-Codex exakt, wenn auch reduziert kopiert.

Literatur

  • Kunibert Bering: Kunst des frühen Mittelalters (Kunst–Epochen, Band 2). Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 3-15-018169-0
  • Bernhard Bischoff: Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 1: Aachen – Lambach. Harrassowitz, Wiesbaden 1998, ISBN 3-447-03196-4
  • Bernhard Bischoff: Katalog der festländischen Handschriften des neunten Jahrhunderts (mit Ausnahme der wisigotischen), Teil 2: Laon – Paderborn. Harrassowitz, Wiesbaden 2004, ISBN 3-447-04750-X
  • Bernhard Bischoff: Manuscripts and Libraries in the Age of Charlemagne, translated and edited by Michael Gorman (Cambridge Studies in Palaeography and Codicology 1), Cambridge University Press, Cambridge 1994, ISBN 0-521-38346-3
  • Ernst Günther Grimme: Die Geschichte der abendländischen Buchmalerei. DuMont, Köln 3. Auflage 1988, ISBN 3-7701-1076-5 [Kapitel Karolingische Renaissance, S. 34–57.]
  • Hans Holländer: Die Entstehung Europas, in: Belser Stilgeschichte, Studienausgabe, Band 2, herausgegeben von Christoph Wetzel, S. 153–384. Belser, Stuttgart 1993 [zur Buchmalerei S. 241–255]
  • Christine Jakobi-Mirwald: Das mittelalterliche Buch. Funktion und Ausstattung. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-018315-4 [Kapitel Karolinger und Ottonen, S. 237–249.]
  • Wilhelm Köhler: Die Karolingischen Miniaturen, 3 Bände, Deutscher Verein für Kunstwissenschaft (Denkmäler deutscher Kunst), früher Verlag Bruno Cassirer, Berlin 1930–1960, fortgeführt von Florentine Mütherich, Bände 4–7, Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft, später Reichert Verlag, Wiesbaden 1971-2007
  • Johannes Laudage, Lars Hageneier, Yvonne Leiverkus: Die Zeit der Karolinger. Primus-Verlag, Darmstadt 2006, ISBN 3-89678-556-7
  • Lexikon des Mittelalters: Buchmalerei. 1983, Band 2, Sp. 837–893. [Beiträge von K. Bierbrauer, Ø. Hjort, O. Mazal, D. Thoss, G. Dogaer, J. Backhouse, G. Dalli Regoli, H. Künzl]
  • Florentine Mütherich, Joachim E. Gaehde: Karolingische Buchmalerei. Prestel, München 1979, ISBN 3-7913-0395-3
  • Florentine Mütherich: Die Erneuerung der Buchmalerei am Hof Karls des Großen, in: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit. Band 3, S. 560–609.
  • Hermann Fillitz: Propyläen-Kunstgeschichte, Band 5: Das Mittelalter 1. Propyläen-Verlag, Berlin 1990, ISBN 3-549-05105-0
  • Ingo F. Walther, Norbert Wolf: Meisterwerke der Buchmalerei. Taschen, Köln u. a. 2005, ISBN 3-8228-4747-X
  • 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Ausstellungskatalog, hrsg. v. Christoph Stiegemann und Matthias Wemhoff, ISBN 3-8053-2456-1

Weblinks

Commons: Karolingische Buchmalerei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Ehrenfried Kluckert: Romanische Malerei, in: Romanik. Architektur, Skulptur, Malerei, hrsg. v. Rolf Tomann, S. 383. Tandem Verlag, o.O. 2007.
  2. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 652. Literatur: Mütherich/Gaede, S. 54–55.
  3. Rom, Vallicelliana.
  4. Rom, Vaticana, Vat. lat. 3868. Literatur: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Band 2, S. 719–722.
  5. Vita Aegil II c. 17, 131–137
  6. Christine Ineichen-Eder, Künstlerische und literarische Tätigkeit des Candidus-Brun von Fulda. In : Fuldaer Geschichtsblätter 56, 1980, S. 201-217, hier S. 201; S. 209f.; vgl. die kritische Edition von Gereon Becht-Jördens, S. XXIX-XL; die Illustrationen ebd. S. 31; S. 39; S. 42. Die einzige Handschrift, nach der der Jesuit Christoph Brouwer den Text in seinen 1616 in Mainz erschienen Sidera illustrium et sanctorum virorum edierte und aus der er in seinen 1612 in Antwerpen erschienen Antiquitatum Fuldensium libri IV Kupferstichreproduktionen dreier Illustrationen veröffentlichte, ging vermutlich während des dreißigjährigen Krieges mit der Fuldaer Bibliothek verloren.
  7. Fillitz, S. 25.
  8. Walther/Wolf, S. 98.
  9. Jakobi-Mirwald, S. 149f.
  10. Pierre Riché: Die Welt der Karolinger, S. 249. Reclam, Stuttgart 1981. Die Zahl beruht auf dem Kenntnisstand der 1960er Jahre.
  11. Pierre Riché: Die Welt der Karolinger, S. 251ff. Reclam, Stuttgart 1981.
  12. Lexikon der Buchkunst und der Bibliophilie, hrsg. v. Karl Klaus Walther, S. 47. Weltbild, München 1995.
  13. Pierre Riché: Die Karolinger, S. 393. dtv, München 1991.
  14. Grimme, S. 34.
  15. Jakobi-Mirwald, S. 215ff.
  16. Mütherich 1999, S. 564.
  17. Mütherich 1999, S. 561.
  18. Bering, S. 219f.
  19. Magnus Backes, Regine Dölling: Die Geburt Europas, S. 96ff. Naturalis Verlag, München o. J.
  20. Erwin Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst, S. 58. Suhrkamp, Frankfurt 1990.
  21. Erwin Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst, S. 60. Suhrkamp, Frankfurt 1990.
  22. Jakobi-Mirwald, S. 239.
  23. Bering, S. 137.
  24. Bering, S. 110f.
  25. John Mitchell: Karl der Große, Rom und das Vermächtnis der Langobarden, in: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Band 2, S. 104.
  26. Erwin Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst, S. 62. Suhrkamp, Frankfurt 1990.
  27. Capitularia regum Francorum 1. Hrsg. von Georg Heinrich Pertz. Monumenta Germaniae Historica 3, Leges in folio 1. Hannover 1835, unveränderter Nachdruck Stuttgart 1991, ISBN 3-7772-6505-5, S. 53–62 Nr. 22. [Auch als Online-Editionzugänglich]
  28. Holländer, S. 248.
  29. Holländer, S. 249.
  30. Holländer, S. 253.
  31. Laudage, S. 92f.
  32. Bamberg, Staatsbibliothek, Msc.Class.5. Literatur: 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Band 2, S. 725–727.
  33. Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 7899. Literatur: Mütherich/Gaehde, S. 26–27.
  34. Bern, Burgerbibliothek, Cod. 264. Literatur: Mütherich/Gaehde, S. 28–29.
  35. Rom, Vaticana, Reg. lat. 438. Literatur: Biblioteca Apostolica Vaticana. Liturgie und Andacht im Mittelalter, S. 82–83. Herausgegeben vom Erzbischöflichen Diözesanmuseum Köln. Belser, Stuttgart und Zürich 1992, ISBN 3-7630-5780-3
  36. So u. a. Fillitz, S. 22.
  37. Jakobi-Mirwald, S. 238.
  38. Lexikon des Mittelalters, Sp. 842.
  39. London, British Library, Harley Ms. 2788.
  40. London, British Library, Cotton Clausius B. V.
  41. Brescia, Biblioteca Queriniana, Ms. E. II.9.
  42. Grimme, S. 45.
  43. Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 265.
  44. Monza, Bibl. Capitolare, Co. G. I.
  45. Madrid, Biblioteca Nacional, Cod. 3307. Literatur: Mütherich/Gaehde, S. 88–89.
  46. Bering, S. 134.
  47. Amiens, Bibliothèque Municipale, Ms. 18. Literatur: Fillitz, S. 34; 799. Kunst und Kultur der Karolingerzeit, Band 2, S. 811–812.
  48. Paris Bibliothèque Nationale, Lat. 9380 (sogenannte Theodulf-Bibel aus Orléans); Handschrift in Le Puy, Domschatz; Evangeliar aus Tours, Bibliothèque Municipale, Ms. 22; Evangeliar aus Fleury, Bern, Burgerbibliothek, Cod. 348. Literatur: Bering, S. 135f.
  49. Bern, Burgerbibliothek, Cod. 348. Literatur: Mütherich/Gaehde, S. 52–53.
  50. Würzburg, Universitätsbibliothek, Mp. theol. fol. 66
  51. Grimme, S. 53.
  52. Lorscher Evangeliar.
  53. Erwin Panofsky: Die Renaissancen der europäischen Kunst, S. 64f. Suhrkamp, Frankfurt 1990.

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Surrealismus

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Frau und Vogel (Barcelona 1982 vonJoan Miró)

Surrealismus war eine Bewegung in der Literatur und der bildenden Kunst, die in der Nachfolge von Dada um 1920 in Paris entstand. Ziel war es, das Unwirkliche und Traumhafte sowie die Tiefen des Unbewussten auszuloten und den durch die menschliche Logik begrenzten Erfahrungsbereich durch das Phantastische und Absurde zu erweitern.[1]

 

Begriff

Das Wort „Surrealismus“ bedeutet wörtlich „über dem Realismus[2]. Etwas, das als surreal bezeichnet wird, wirkt traumhaft im Sinne von unwirklich[2]. Die vom französischen Schriftsteller und Kritiker André Breton seit 1921 in Paris geführte surrealistische Bewegung suchte die eigene Wirklichkeit des Menschen im Unbewussten und verwertete Rausch- und Traumerlebnisse als Quelle der künstlerischen Eingebung und sie bemühte sich darum, das Bewusstsein und die Wirklichkeit global zu erweitern und alle geltenden Werte umzustürzen. Sie ist daher eine anarchistische, revolutionäre Kunst- und Weltauffassung.

Die Bezeichnung „Surrealismus“ geht auf Guillaume Apollinaire zurück, dessen Theaterstück Les Mamelles de Tirésias (Die Brüste des Tiresias) den Untertitel „ein surrealistisches Drama“ trägt. Es wurde im Juni 1917 uraufgeführt und gab der Bewegung den Namen.[3] Im Mai desselben Jahres hatte er den Begriff bereits im Programmzettel zum Ballett Parade erwähnt.[4]

Ausgehend von der dadaistischen Bewegung in Paris stellte auch der Surrealismus eine aufrührerische Kunstbewegung dar, die gegen die unglaubwürdigen Werte der Bourgeoisie antrat, im Gegensatz zum negativ-destruktivistischen Dadaismus jedoch eine konstruktivere Sicht der Dinge propagierte. Beeinflusst vom Symbolismus, Expressionismus, Futurismus, den Schriften Lautréamonts, Alfred Jarrys und den Forschungen Sigmund Freuds stellt der Surrealismus eine nichtrationale und die Gefühle betonende Welt des Traums in den Vordergrund, lehnt jedoch logisch-rationale „bürgerliche“ Kunstauffassungen radikal und provokativ ab. Der Surrealismus verbreitete die Befreiung der „Wörter“ und eine Ästhetik der „kühnen Metapher“.

Man kann den Surrealismus in zwei Unterarten unterteilen:

  • veristischer oder auch kritisch-paranoischer Surrealismus (Vereinigung nicht zusammengehöriger Dinge, verdrehte Perspektiven, wie man sie z. B. von Salvador Dalí kennt), genannt Enttextualisierung
  • abstrakter oder absoluter Surrealismus (dasselbe Prinzip wie oben genannt nur ohne jeglichen Realismus, wie z. B. in Bildern von Joan Miró)

 

Entstehung

Der Surrealismus wurde von Max Ernst und André Breton im Jahr 1919 gewissermaßen erfunden; in seinem Buch über den Surrealismus zitiert Gaétan Picon Bretons Die verlorenen Schritte: Auftritt der Medien wie folgt[5]: „Im Jahre 1919 hatte sich mein Augenmerk auf die mehr oder weniger unvollständigen Sätze gerichtet, die bei völliger Einsamkeit und herannahendem Schlaf dem Geist wahrnehmbar werden, ohne dass es möglich wäre, eine vorherige Bestimmung in ihnen zu entdecken.“

Max Ernst schrieb in seiner Veröffentlichung Jenseits der Malerei im Jahr 1936: „An einem regnerischen Tag des Jahres 1919, in einer Stadt am Rhein, fiel mir auf, mit welcher Besessenheit mein irritiertes Auge an den Seiten eines Bilderkataloges haftete, in dem Gegenstände zur anthropologischen, mikroskopischen, psychologischen, mineralogischen und paläontologischen Veranschaulichung abgebildet waren. Dort standen Bildelemente nebeneinander, die einander so fremd waren, dass gerade die Sinnlosigkeit dieses Nebeneinanders eine plötzliche Verschärfung der visionären Kräfte in mir verursachte, und eine halluzinierende Folge widersprüchlicher […] Bilder wachgerufen wurde […].“

Congrès de Paris, Zerwürfnis der Pariser Dadaisten

1922 übernahm Breton die Leitung der Pariser Dada-Publikation Littérature. Im selben Jahr rief er den Congrès de Paris ins Leben, um eine Richtung für die verschiedenen Formen der modernen Kunst vorzugeben. Der Kongress, mit parlamentarischer Satzung, sollte unter Polizeischutz stattfinden. Breton meinte, „daß der Dadaismus keinem anderen Zweck gedient haben kann als dem, uns in dem vollkommenen Zustand der Verfügbarkeit zu halten, in dem wir gegenwärtig sind und aus dem heraus wir jetzt in aller Klarheit auf das zugehen werden, was uns ruft.“[6] Für Tristan Tzara stellte Bretons Vorgehen einen Affront dar, weshalb er die Einladung zum Kongress „in aller Freundlichkeit“ ablehnte. Breton wiederum ging nun Tzara öffentlich scharf an und bezeichnete ihn „als einen Schwindler, der nichts mit der Erfindung Dada zu tun habe.“ Der Vorfall artete zu einer Zerreißprobe der Mitglieder aus und bedeutete quasi das Ende der Dada-Bewegung.

In einer Julinacht im Jahr 1923 kam es schließlich im Pariser Théâtre Michel zu Handgreiflichkeiten, als Tristan Tzaras Schauspiel Le Cœur à Gaz aufgeführt werden sollte. Tzaras frühere Freunde Louis Aragon, Benjamin Péret und Breton stürmten die Bühne und griffen die Darsteller an.[7]

 

Die Surrealisten-Gruppe

André Breton, 1924

Breton veröffentlichte 1924 sein „erstes surrealistisches Manifest“ in Paris und dominierte in der Folge die Bewegung. Für die Dauer der Bewegung blieb das Manifest maßgebend, im sogenannten „zweiten surrealistischen Manifest“ von 1929 wurden nur geringfügige Änderungen vorgenommen.[7] Die Zeitschrift Littérature wurde eingestellt, um La Révolution surréaliste, dem Forum der neuen Bewegung, Platz zu machen. Ein „Büro für surrealistische Forschungen“ in der rue de Grenelle 15 rundete die Institutionalisierung ab.[8]

Die Bilder der Surrealisten haben oft traumhafte und abstrakte Wirkung. Ein vielbehandeltes Bildthema der surrealistischen Malerei ist beispielsweise Die Versuchung des Heiligen Antonius, unterstützt durch den Bel-Ami-Wettbewerb von 1946, an dem viele bekannte Künstler der Zeit, wie Max Ernst, Salvador Dalí und viele andere teilnahmen.

Bevorzugte Arbeitsweisen waren: Das Bewusstsein durch Traum, Schlaf oder Rauschmittel abschalten und Unbewusstes in einem automatischen, nicht gesteuerten Schaffungsprozess zum Ausdruck kommen lassen sowie eine übergenaue Malweise, Verfremdung oder Kombination unmöglicher Dinge und Zustände, welche die Wirklichkeit übersteigen.

Das Verfahren, mit dem schreibend und zeichnend experimentiert wurde, war das Automatische Schreiben (Écriture automatique), das spontan und ohne Einschränkungen des Bewusstseins sein sollte. In gewollter Trance und in Traumprotokollen sollten Ängste und Begierden ohne Zensur des Bewusstseins deutlich werden und Figuren ohne Erinnerung an bereits vorhandene Bilder freisetzen.[9]

Politische Streitigkeiten trugen zur Auflösung der Gruppe der Surrealisten nach 1928/29 bei. Seinen Höhepunkt hatte diese Auseinandersetzung 1930 mit Bretons „Zweitem surrealistischen Manifest“, in welchem dieser auf eine klare Stellungnahme der Künstler gegen den sich ausbreitenden Faschismus in Europa hinwirken wollte[10]. Trotz einer Wiederbelebung während der Jahre der Résistance(1940–44) kann nach dem Zweiten Weltkrieg von einer surrealistischen Bewegung kaum noch die Rede sein. Unter dem französischen Einfluss fasste der Surrealismus besonders in Spanien und in denVereinigten Staaten Fuß. Auch im deutschen Sprachraum wurden surrealistische literarische Texte von Autoren wie Alfred Kubin, Hermann Kasack u. a. geschrieben. Der Surrealismus hat auch in der Literatur seinen Einzug erhalten. Dort konnte mit Hilfe von literarischen Impulsen aus der deutschen Romantik und des französischen Symbolismus und unter der Einbeziehung der zeitgenössischen Wissenschaften, wie Psychiatrie und Psychoanalyse die Literatur als Medium der Weltveränderung und Selbsterkenntnis neu definiert werden. So hat der Surrealismus eine nachhaltige Wirkung auf verschiedenste Werke zeitgenössischer Kunst und Literatur, wie zum Beispiel auf die seit etwa 1950 entstandene konkrete und abstrakte Dichtung.

Texte und Ideen von René Magritte hatten später großen Einfluss auf die Konzeptkunst, z. B. Marcel Broodthaers. Die Situationisten beriefen sich in den 1960er Jahren bei ihrem Angriff auf die Wirklichkeit auch auf die Surrealisten.

Heute wird jeder Stil als surrealistisch bezeichnet, der Reales mit Traumhaftem oder Mystischem verbindet. So beansprucht auch das Irreale oder der sinnlose Zusammenhang den gleichen selbstverständlichen Realitätscharakter wie die alltägliche Wirklichkeit, die selbst oft surreal oder absurd scheint. Surrealistische Bild- und Traumwelten haben durch Werbung und Massenmedien als kommerzielle Produkte den Weg in den Alltag gefunden (z. B. zeitgenössischesSpielzeug). Doch auch in der zeitgenössischen Malerei ist der Surrealismus (wieder) lebendig.

 

Mitglieder der Surrealistengruppe

Salvador Dalí und Man Ray, 16. Juni 1934 in Paris, Fotograf: Carl van Vechten

Maxime Alexandre (1932 ausgeschlossen), Louis Aragon (1932 ausgeschlossen), Jean Arp, Antonin Artaud (1926 ausgeschlossen), Jacques Baron, Georges Bataille (1929 ausg.), Victor Brauner, André Breton, Luis Buñuel, René Char, Achille Chavée, Giorgio de Chirico, René Crevel, Salvador Dalí (1934 ausg.), Robert Desnos, Oscar Dominguez, Marcel Duhamel, Paul Éluard (1938 ausg.), Max Ernst (1954 ausg.), Camille Goemans, Irène Hamoir, Wifredo Lam, Michel Leiris, Gilbert Lely, Georges Limbour,René Magritte, Marcel Mariën, Joyce Mansour, André Masson, Roberto Matta (1948 ausg.), E. L. T. Mesens, Joan Miró, Max Morise (1929 ausg.), Paul Nash, Pierre Naville,Vítězslav Nezval, Paul Nougé, Wolfgang Paalen, Roland und Valentine Penrose, Benjamin Péret, Francis Picabia, Jacques Prévert (1930 selbst ausgetreten), Raymond Queneau(1930 ausg.), Man Ray, Georges Ribemont-Dessaignes, Hans Richter, Robert Rius, Louis Scutenaire, Kurt Seligmann, Philippe Soupault (1926 ausg.), André Souris, Shuzo Takiguchi, Georges Spiro, Yves Tanguy, Toyen, Tristan Tzara, Pierre Unik (1932 ausg.), Roger Vitrac (1926 ausg.); Emil Cioran, Gellu Naum, Hans Bellmer

Zitate

Gedicht aus denCalligrammes von Apollinaire

„Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität. Nach ihrer Eroberung strebe ich, sicher, sie nicht zu erreichen, zu unbekümmert jedoch um meinen Tod, um nicht zumindest die Freuden eines solchen Besitzes abzuwägen.“

– André Breton: Erstes Manifest des Surrealismus (1924)

„Er ist schön […] wie die zufällige Begegnung eines Regenschirmes mit einer Nähmaschine auf dem Seziertisch.“

– Lautréamont: Die Gesänge des Maldoror VI,3 (1869)

Der Comte de Lautréamont gilt als „Großvater“ des Surrealismus. André Gide sah es als bedeutendstes Verdienst von Louis Aragon, André Breton und Philippe Soupault an, seine „literarische und ultraliterarische Bedeutung“ erkannt und verkündet zu haben. 1920 nahm Man Ray die berühmt gewordene Stelle aus dem 6. Gesang als Ausgangspunkt für sein Werk „The Enigma of Isidore Ducasse“ (Das Geheimnis des Isidore Ducasse). Die Gesänge des Maldoror inspirierten zahlreiche weitere surrealistische Künstler, darunter Salvador Dalí, Rene Magritte, Victor Brauner, Oscar Dominguez, Joan Miró und Yves Tanguy. In unmittelbarer Anlehnung an Lautréamonts „zufällige Begegnung“ hat Max Ernst die Struktur des surrealistischen Bildes definiert: „Accouplement de deux réalités en apparence inaccouplables sur un plan qui en apparence ne leur convient pas.”

 

Künstlerinnen des Surrealismus

Surrealistische Filme

Hauptartikel: Surrealistischer Film

Die Klassiker des surrealistischen Films sind Ein andalusischer Hund (Un chien andalou) und Das goldene Zeitalter (L'Âge d'Or) von Luis Buñuel und Salvador Dalí. Letzterer verursachte bei seiner Aufführung im Jahre 1930 einen Skandal, als rechtsgerichtete Gruppierungen Farbbeutel gegen die Leinwand warfen und surrealistische Bilder zerstörten. Zur Aufrechterhaltung der Ruhe wurde der Film für Jahrzehnte verboten.

Antonin Artaud, Philippe Soupault und Robert Desnos schrieben Drehbücher für surrealistische Filme. Alfred Hitchcock ließ eine Traumsequenz seines Films Spellbound („Ich kämpfe um dich“) von Salvador Dalí gestalten. Verwandtschaft zeigen die Filme von Viking Eggeling, Hans Richter und Fernand Léger.

Filme der surrealistischen Bewegung:

Die surrealistische Ästhetik wurde später auch von Spielfilm-Regisseuren aufgegriffen, etwa von Alain Resnais (Letztes Jahr in Marienbad) und Glauber Rocha, aber auch wieder von Luis Buñuel (El ángel exterminador, 1962; Der diskrete Charme der Bourgeoisie, 1972; Das Gespenst der Freiheit, 1974). Alejandro Jodorowskys Filme sind stark vom Surrealismus beeinflusst: Fando y Lis (1967), El Topo (1971), Der heilige Berg (1973), Santa Sangre(1989). Als bekannter aktueller Vertreter kann David Lynch angesehen werden, viele seiner Filme (z. B. Eraserhead, 1976 oder Lost Highway, 1997) haben einen surrealen Charakter. Eine traumartige Atmosphäre lässt immer wieder die Grenzen zwischen Realität und Imagination zerfließen (auch in Mulholland Drive, 2001).

Filme mit teilweise surrealistischen Zügen: J'irai Comme Un Cheval Fou von Fernando Arrabal (1973); Celine and Julie Go Boating von Jacques Rivette (1974); Possession von Andrzej Żuławski (1981); Motorama von Barry Shils (1991); Serial Experiments Lain von Yoshitoshi ABe (1998); Songs from the Second Floor von Roy Andersson (2000), Cat Soup von Tatsuo Sato (2001)

Die Protagonisten

Literatur
Bildende Kunst

Louis Aragon, Antonin Artaud, Georges Bataille, André Breton, René Crevel, Paul Éluard, Benjamin Péret, Jacques Prévert, Philippe Soupault, Tristan Tzara, Gellu Naum
Jean Arp, Luis Buñuel, Salvador Dalí, Max Ernst, Alberto Giacometti, Eli Lotar, René Magritte, Roberto Matta, André Masson, Joan Miró, Man Ray, Yves Tanguy, Victor Brauner

 

Ausstellungen der Surrealisten

Post-Breton-Surrealismus

Obwohl die Bezeichnung „Surrealismus“ historisch die Künstlergruppe um Breton meint, gibt es auch in der Nachfolge viele andere Gruppen und Einzelpersonen, die den Namen aufgenommen haben.

Bereits 1947 gründete Christian Dotremont die kurzlebige Revolutionary Surrealist Group; 1948 schloss er sich mit Asger Jorn und mehreren anderen Künstlern zu der Gruppe COBRA zusammen. Parallel zu COBRA entwickelte sich in Frankreich um Isidore Isou der vom Surrealismus beeinflusste Lettrismus.

Mitglieder dieser verschiedenen Gruppierungen schlossen sich schließlich in den 1950er Jahren zu der Situationistischen Internationalen zusammen, die ein komplexes Verhältnis zum Surrealismus aufrechterhielt. Einige Situationisten wie Asger Jorn, Charles Radcliffe und Raoul Vaneigem waren offen erkennbar vom Surrealismus beeinflusst und reflektierten diesen, während andere wie Guy Debord sich davon distanzierten. Während surrealistische Techniken noch ein Bestandteil des Konzeptes waren, war der politische Anspruch im Situationismus oftmals vorrangig.

Ähnlich politisch motiviert war die 1966 gegründete Chicago Surrealist Group [11]. Auch im Europas entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Künstlergruppierungen, wie die polnische Orange Alternative, die surrealistische Konzepte in politischen Aktionen umsetzten.

Aktuell beziehen sich zahlreiche Gruppen wie das International Massurrealism Movement, das OFFAL Project in New York oder die Surrealist London Action Group explizit auf surrealistische Ideen. Auch in der Malerei werden surrealistische Motive und Techniken weiterhin aufgegriffen, wie beispielsweise durch Wolfgang Lettl und Frank Kortan.

Siehe auch

Literatur

 

Weblinks

Commons: Surrealismus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Wiktionary Wiktionary: Surrealismus – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

 

Einzelnachweise

  1. Keysers Grosses Stil-Lexikon Europa. 780 bis 1980. Keysersche Verlagsbuchhandlung, München 1982, ISBN 3-87405-150-1, S. 482.
  2. Duden, Universalwörterbuch: surreal, traumhaft-unwirklich. Surrealismus, frz. surréalisme, aus sur (von lat. super) = über und réalisme = Realismus
  3. Uwe. M. Schneede: Die Kunst des Surrealismus, S. 215
  4. corpusweb.net: Nicole Haitzinger: EX Ante: „Parade“ unter Friktionen. Choreographische Konzepte in der Zusammenarbeit von Jean Cocteau, Pablo Picasso und Léonide Massine, abgerufen am 14. Dezember 2011.
  5. Gaétan Picon: Der Surrealismus (1919–1939), Skira, Genf 1988, ISBN 3-8030-3112-5-
  6. In: George H. Hamilton: Painting and Sculpture in Europe: 1880–1940. Penguin Books, 1972, S&.nbsp;388.
  7. Stephen C. Foster: Formfindung und Freiheit, in: Man Ray. Edition Stemmle, Zürich, 1989, ISBN 3-7231-0388-X, S. 237f.
  8. Volker Zotz: Breton, S. 62 f.
  9. Uwe M. Schneede: Die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert, S. 88.
  10. siehe André Thirion: Révolutionnaires sans Révolution, Paris 1972
  11. offizielle Webpräsenzdes Surrealist Movement in den USA

 

Quelle: Wikipedia

 

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Donnerstag, 1. März 2012

Kunstmarkt

Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Als Kunstmarkt wird heute die Gesamtheit aller Galerien, Kunstmessen, Sammlerbörsen oder Auktionen bezeichnet, bei denen Kunstwerke der Bildenden Kunst gehandelt werden. Man unterscheidet zwischen Malerei, Bildhauerei undGrafik. Der internationale Kunstmarkt hat ein Volumen von rund 43 Milliarden Euro (2010).[1]

 

Investition, Spekulation, Wert und Preisbildung

Angebot und Nachfrage bestimmen den Markt und so die Preise von Kunst, wobei der Wert eines Künstlers sich aber auch nach dem Renommee seiner Ausstellungsorte oder Ehrungen richtet. Zuweilen bilden sich Preise auch aufgrund eines Trends, einer "in Mode" gekommenen Kunstrichtung, die ebenso schnell wie sie gekommen ist, wieder absinken oder völlig verschwinden kann. Im Kunsterwerb vor allem zeitgenössischer Künstler liegen demnach gewaltige Möglichkeiten und Risiken. Es kann in Kunst investiert werden wie in Aktien, Edelmetalle/-steine, Antiquitäten oder Grundstücke und manche Blitzkarriere junger Künstler gleicht einer Aktienemission der New Economy.

Kunst wird zum Statussymbol, durch dessen Besitz man überlegenen Geschmack oder Stil demonstriert (wie beim berühmten Bild über dem Schreibtisch des Chefs). Die Kräfte des Marktes übernehmen dabei die Aufgabe, den Werteines Kunstwerks festzulegen.

Auf dem gehobenen Kunstmarkt wird Kunst jedoch meist als reines Investitionsgut gesehen und weniger von 'reinen Endkäufern' erworben, sondern bis zur erhofften Wertsteigerung durch Kunstinvestoren verwaltet.

In Folge einer wachsenden Tendenz zur Privatisierung geraten zunehmend Orte und Institutionen, an denen Kunst ausgestellt, gesammelt, diskutiert oder produziert wird, von öffentlichen in private Hände. Der Wandel vom Kunst- zum Spekulations- und Investitionsobjekt verteuern Kunstwerke für öffentlich subventionierte Museen, private Sammler bestimmen als Leihgeber oder Stifter von ganzen Sammlungen zunehmend, welche Kunst in den Museen zu sehen ist.

Bedingungen und Folgen des Kunstmarktes werden in Kunstkritik oder Kunsttheorie diskutiert und sind auch Teil künstlerischer Gegenstrategien, beispielsweise durch Arbeiten, die flüchtig sind und an Vergänglichkeit erinnern; die sich auflösen, verschimmeln oder verrotten wie bei Beuys oder Dieter Roth - zwei Künstlern, die allerdings heute selbst hoch gehandelt werden.

Das bislang teuerste Kunstwerk, das bei einer Auktion versteigert wurde, ist das Gemälde Nackte, grüne Blätter und Büste von Pablo Picasso. Es erzielte bei einer Auktion von Christie’s in New York am 4. Mai 2010 einen Kaufpreis in Höhe von 106,5 Millionen US Dollar (umgerechnet rund 74,5 Millionen Euro).[2]

 

Akteure auf dem Kunstmarkt

Der Kunstmarkt ist hauptsächlich bestimmt von folgenden Protagonisten oder Institutionen, in denen oder für die er tätig ist:

  • Der Künstler: zunächst freischaffend ohne Verkaufsaussicht, er entdeckt dann Marktlücken und nutzt Strategien der Selbstvermarktung. Manchmal zufällige Begegnung mit Sammlern, Galeristen usw.
  • Der Kunstagent: in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich der Beruf des professionellen Kunstagenten. Dieser vermittelt für den Künstlern zwischen Galerien, Sammlern, Museen und Messen. Auch Öffentlichkeitsarbeit und Forderungsmanagement wird für den Künstler häufig betrieben. Kunstagenten sind meist am Umsatz des Künstlers beteiligt oder arbeiten auf Etat.
  • Der Kunstkritiker: in den vierziger, fünfziger und den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts konnte seine in öffentlichen Medien geäußerte Kritik zu Werken oder Ausstellungen eines Künstlers diesen auf dem Markt durchsetzen oder aus dem Markt werfen; Ende des 20. Jahrhunderts und Anfang des 21. Jahrhunderts ist die Macht des Kunstkritikers geschwunden. Die heutigen Kritiken helfen allerdings immer noch Sammlern, ihr Geld sinnvoll einzusetzen, bei Schwindel und Nachahmungen vorsichtig zu sein und oberflächliche, effekthascherische Strömungen und kurzlebige Moden von substanzhaltigen Werken zu unterscheiden.
  • Der Galerist: er lebt vom Kunsthandel und entwickelt ein bestimmtes Konzept und Galerie-Programm und präsentiert und vermarktet die Künstler. Er betreut gleichermaßen Sammler beim Aufbau ihrer Sammlung. Die Primärmarkt-Galerie betreut meist neue, junge Künstler und verkauft hauptsächlich "atelierfrische" Arbeiten. Die Sekundärmarkt-Galerie lebt im Gegensatz dazu ausschließlich vom Wiederverkauf der Kunstwerke. Häuftig übernehmen ebenso Primärmarkt-Galerien den Rück- und Wiederverkauf von Arbeiten der von ihnen vertretenen Künstler.
  • Der Kunstberater: er ist eher neutraler Mittler zwischen Sammler und Galerie oder Sammlern untereinander. Da er selbst nicht unbedingt galeriegebunden ist, verschafft er dem Sammler beim Einstieg einen Überblick über den Markt, berät ihn vor und bei Kaufentscheidungsprozessen sowie bei der Zusammenstellung seiner Sammlung.
  • Der private Kunstsammler: er spezialisiert sich oder fördert gezielt durch Ankäufe bestimmte Tendenzen. Es ist ihm oft ein Anliegen, sich die Expertise selbst zu erarbeiten, wofür einen großen Zeitaufwand treibt; häufig sind es wohlhabende Erfolgsmenschen, die sich mit Leidenschaft in die Kunst verliebt haben. Die meisten großen Privatsammlungen sind so entstanden, eine finanzielle Absicht ist selten die treibende Kraft.
  • Der Auktionsexperte von Auktionshäusern: er beobachtet intensiv den Markt, taxiert die ihm von Sammlern oder - in seltenen Fällen - von Museen angebotenen Kunstwerke und stellt sie zu den wenigen im Jahr stattfindenden Auktionen (2.Markt) seines Hauses zusammen. Im Gegensatz zum Galeristen ist es nicht Aufgabe von Auktionshäusern, junge, unbekannte Künstler zu fördern, es wird nach rein kommerziellen Absichten vorgegangen. Hier tauchen oft die spektakulären älteren Werke auf, die Rekorde bei Preis und öffentlicher Aufmerksamkeit erzielen.
  • Der Direktor und der Kurator von Museen, Stiftungen, institutionellen Sammlungen oder Ausstellungen: diese Museumsfachleute entscheiden über Schwerpunkte einer (öffentlichen) Sammlung, über Ausstellungskonzepte, Ankäufe von Kunstwerken und ihre Eingliederung in Museums- und Werkbestände. Diese Kunstwerke erhalten dadurch öffentliche Akzeptanz; die Arbeiten des entsprechenden Künstlers steigen meist dadurch im Wert.

 

Siehe auch

 

Literaturhinweise

 

Einzelnachweise

  1. Angaben der European Fine Art Foundation, abgerufen am 23. Januar 2012
  2. http://www.focus.de/kultur/kunst/kunstauktion-weltrekord-fuer-picasso-gemaelde_aid_505081.html, abgerufen am 6. April 2011

Weblinks

Quelle:  „Wikipedia